JULES BERNHARD HUNZIKER
8. März 1906 bis 27. Februar 1996
Die Natur ist keine Kunst, sie ist eine Realität; Kunst ist etwas künstliches.
Etienne Gilson (1884 bis 1978)
Mit zwei kurzen Aussagen – einer eigenen und einer fremden – kann man die Schaffensperiode von Jules Bernhard Hunziker, in seinen letzten fast 40 Jahren, ab Mitte der Fünfzigerjahre, umschreiben: „Die Farbe ist für mich wichtiger als die Form“ und „Die Natur ist keine Kunst, sie ist eine Realität, Kunst ist etwas künstliches.“ Die Farbe ist auch schon vor dieser Zeit wichtig für JB Hunziker gewesen; sie hatte jedoch immer eher nur eine unterstützende Funktion und kaum eine zentrale Bedeutung für die Aussage eines Bildes. Solange er mit der Staffelei oder seinem Skizzenbuch unterwegs war, um ein möglichst getreues Abbild der Natur festhalten zu können, war die Form noch das Wichtigste. Das änderte sich dann aber anfangs der Fünfziger Jahre; Hunziker wurde „farbiger“. Er löste sich immer mehr vom Abzeichnen und kopieren der Natur und begann sein Arbeitsfeld fast ausschliesslich ins Atelier zu verlegen, wo er dann die skizzierten Sujets nach andern – seinen eigenen – Kriterien neu erschuf, was natürlich dann auch bedeutete, dass die Formen genauer denjenigen in der Natur entsprechen mussten.
Die Aussage von Gilson, dass etwas künstlerisch Gestaltetes in jedem Falle etwas Künstliches sei und die Natur in diesem Sinne auch nie nachahmen könne, ist JB Hunziker sehr hilfreich gewesen. Er begann langsam zu verstehen, was mit ‚Kunst‘ gemeint sein könnte – nämlich die Schaffung einer neuen, eigenständigen Wirklichkeit. Das führte ihn dann auch dazu, die Natur, beziehungsweise das was draussen überall zu sehen ist, nur noch als „Vehikel“ zur Umsetzung seiner „Farbvisionen“ zu benutzen und nicht mehr als das Hauptelement zu betrachten. Die ersten rund 30 Jahre hat Hunziker fast ausschliesslich mit Ölfarben gemalt – es gab ja neben den Wasserfarben und Pastellkreiden auch nicht viel anderes. Aber je länger je mehr befriedigten ihn die Ölfarben nicht mehr: sie waren ihm zu stumpf, zu wenig leuchtend, zu wenig aussagekräftig. Sie gaben nicht das wieder, was er an Farben vor seinem geistigen Auge sah. Die Leuchtkraft seiner, in der Folge selbst hergestellten, Pastellkreiden kam dann seinen Farbvorstellungen schon sehr nahe. Das Malen mit Pastell ist jedoch etwas aufwändig – jedes Blatt muss mehrere Male fixiert, das heisst mit Fixativ besprüht werden und jedes fertige Bild muss durch ein Glas geschützt werden. Die sich daraus für den Betrachter unvermeidlich ergebenden Spiegelungen sind immer unbefriedigend.
Angeregt durch einen Hinweis in der Fachliteratur begann Hunziker mit Versuchen auch andere Farben selbst herzustellen: als Bindemittel anstatt Öl aber ein flüssiges Harz zu verwenden. Es brauchte dann aber über drei Jahre unermüdlichen Pröbelns bis seine Bemühungen von Erfolg gekrönt waren – und die Farboberflächen beim Trocknen nicht mehr in die gefürchteten ‚Spinnen‘ zersprang. Die lasierende Wirkung des Harzes steigerte die Leuchtkraft der Farben beträchtlich. Endlich entsprachen die ihm zur Verfügung stehenden Farben auch seinen Vorstellungen und seinen „Farbsymphonien“ stand nun nichts mehr im Wege. Seine Farbskala umfasst nur zwölf reine Farben: vier gelbe, vier rote und vier blaue. Dazu kommt noch weiss. Mit den zwölf Farben lassen sich alle nur erdenklichen Farbnuancen erzielen. Hunziker mischte grundsätzlich nie mehr als zwei Farben miteinander. Wenn irgendwie möglich benützte er sogar nur einen reinen Farbton. Die Verwendung von reinen Farben steigert deren Leuchtkraft innerhalb eines Bildes sehr stark. Jede dieser zwölf Farben kann auch als Grundton eines Bildes dienen. Mit einer – manchmal über eine längere Zeit in seinem Kopf gereiften – Farbvorstellung vor Augen, suchte er sich dann ein Sujet, das diese „Vision“ am besten unterstützen und ergänzen würde. Manchmal bearbeitete er ein Sujet in verschiedenen Grundfarben um letztlich nur die beste Version weiter zu verfolgen.
Die Gegenfarben oder auch Komplementärfarben genannt, spielen in Hunzikers Farbgebung eine zentrale und dominierende Rolle. Damit bezeichnet man zwei Farben, die, wenn miteinander gemischt, ein dunkles Grau ergeben. Jede der beiden zueinander gehörenden Gegenfarben erhöht die Leuchtkraft der andern, wenn sie neben einander stehen, zum Beispiel rot-grün, gelb-violett oder blau-orange. So ist es denn eben möglich, dass eine – in der Natur an sich grüne oder weisse – Landschaft von Hunziker in rot, gelb, blau oder violett dargestellt werden kann. Die Aussagekraft des Sujets wird dadurch ausserordentlich gesteigert; die Farbe ist eben wichtiger als die Form, wichtiger als die naturgetreue Wiedergabe.
Biografie
Jules Bernhard Hunziker ist seinem Geburtsort Zweisimmen im Kanton Bern, wo er am 8. März 1906 geboren wurde, zeitlebens treu geblieben. Natürlich war er auch auf Reisen und hat während rund drei Jahren als junger Berufsmann an andern Orten gearbeitet; aber zuhause ist er immer in Zweisimmen gewesen. Das Simmental, seine Berge, seine Menschen und ihre Mentalität haben Hunziker geprägt. Schon als kleiner Bub hat er mit zeichnen angefangen: Menschen, Tiere, Hände, Bäume und auch schon Berge sind seine ersten Motive gewesen. Mit zehn Jahren erhielt er einen Kasten mit Farbstiften. Nun begann er sich auch mit der Farbe auseinanderzusetzen. Gerne wäre Hunziker Zeichnungslehrer geworden. Seinen Eltern kam dieser Wunsch nicht gelegen: sie wollten einen Nachfolger für ihren Coiffeursalon. So musste er dieses Metier erlernen, das er zwar gut beherrschen aber nie lieben lernte.
JB Hunzikers beruflichen Wanderjahre führten ihn Mitte der 1920er Jahre nach Genf. In den dortigen Museen lernte er die Werke des Malers Alexandre Calame (1810–1864) kennen. Er war so beeindruckt, dass er sich wieder mehr mit seinem Hobby beschäftigte, obwohl ihm dafür lange Zeit immer nur der Sonntag zur Verfügung stand. Mit seiner Frau Elise Tritten (1904–1944) führte er ab anfangs 1930er Jahre den elterlichen Damen- und Herrencoiffeursalon an der Bahnhofstrasse in Zweisimmen. Im Jahre 1935 – sie waren schon eine Familie mit zwei Töchtern – durfte er dem damals schon sehr bekannten Maler Albert Nyfeler (1883–1969) in dessen Atelier im Lötschental während einiger Zeit „über die Schultern“ gucken. Nyfeler hat Hunziker mit seiner Aussage: „Weshalb sind Sie überhaupt gekommen – Sie können ja malen“, sehr ermuntert und ihm neuen Elan gegeben mit seiner Malerei weiterzufahren. In der Folge versuchte er immer mehr Zeit fürs malen zu haben; aber neben einer immer grösser werdenden Familie und der Verantwortung für das eigene Coiffeurgeschäft ging das kaum. Es gibt daher nur sehr wenige Zeugnisse aus dieser Zeit. Im Mai 1944 trifft Hunziker und seine Familie ein schwerer Schlag: seine Frau Elise stirbt kurze Zeit nach der Geburt ihrer sechsten Tochter. Das Schicksal meinte es aber gut mit ihm und nach anderthalb Jahren hatten seine Töchter wieder eine Mutter und er, in der Person von Gertrud v. Fellenberg (1914–2008) aus Bern, auch wieder eine Frau.
Der ungeliebte Broterwerb als Coiffeur und das sich immer stärker meldende Bedürfnis seiner Kunst mehr Zeit widmen zu können haben ihn veranlasst nach Alternativen zu suchen. Im Herbst 1949 hat er seinen Coiffeursalon verkauft und hat eine Halbtagesbeschäftigung angenommen, die ihm ermöglichte, sich intensiver der Malerei widmen zu können. Dass er sich das überhaupt erlauben konnte, lag in dem Umstand, dass seine zweite Frau Gertrud ihren angestammten Beruf als Tuberkulose-Fürsorgerin der Ämter Obersimmental und Saanenland – nach der Geburt ihrer zwei Söhne – wieder aufgenommen hatte. Ohne diese Unterstützung hätte Hunzier nie so intensiv mit Malen beginnen können. Jeden Nachmittag hatte er nun Zeit sich seiner Berufung zu widmen. Er zog aus mit seiner Staffelei oder fertigte auf seinen Ausflügen mit dem Motorrad unzählige Bleistiftskizzen an. Langsam begann er sich von dem reinen Kopieren der Natur zu lösen; er versuchte die gesehenen Eindrücke für sich neu zu schaffen und auf eine ihm entsprechende Weise darzustellen. Diese „moderne“ Form der Darstellung fand in seiner näheren und weiteren Umgebung kaum Anklang. Hunziker konnte in der damaligen Zeit auch kaum je ein Bild verkaufen. Viele gutgemeinte Ratschläge versuchten ihn von seinem Weg abzubringen. Es war für ihn nicht immer einfach, den Anfechtungen nicht zu erliegen, dies insbesondere da das Hobby nur kostete und nichts einbrachte. Er wollte und konnte aber von seinen Vorstellungen nicht abweichen und auch keine künstlerischen Kompromisse eingehen.
Mit 70 Jahren hat JB Hunziker seine Halbtagesstelle aufgegeben. Danach machte er nichts anderes mehr als Malen. Zu dieser Zeit stellte sich dann auch langsam ein Aufschwung ein – endlich begannen die Einnahmen die Ausgaben zu übersteigen. Zwei Glücksfälle unterstützten diese erfreuliche Entwicklung. Ein deutscher Berufsfotograf munterte Hunziker bei seinen Besuchen in seinem Atelier immer wieder auf, indem er seine Werke auf die gleiche Stufe stellte von anderen namhaften europäischen Künstlern. Ein weiterer Liebhaber seiner Kunst wollte die religiösen Motive nicht nur als Bilder, sondern als Glasfenster verwirklicht sehen. Er fand schliesslich die beiden Kirchgemeinden Flamatt/FR und Goldiwil/BE die sich von ihm ein Glasfenster von Hunziker schenken liessen. In Onex/GE gibt es auch ein mehrteiliges Glasfenster von Hunziker und seit Herbst 1992 ziert auch ein Glasgemälde die Eingangshalle des neuen Kirchgemeindehauses in Zweisimmen.